Hüttenwartin, erste Saison SAC Dammahütte und plötzlich stand ich mit drei Kindern alleine da.

Hüttenwartin, erste Saison SAC Dammahütte Und plötzlich stand ich mit drei Kindern alleine da.

11/8/2025

Hüttenwartin, erste Saison SAC Dammahütte

Und plötzlich stand ich mit drei Kindern alleine da.

Ende der Achtzigerjahre – alles war irgendwie im Wandel. Mein damaliger Mann hatte schon lange den Traum, einmal eine SAC-Hütte zu übernehmen. Ich war da eher vorsichtig – schliesslich wusste ich ja, dass zwischen Traum und Realität oft ein ganzer Berg liegt.

Aber dann kam die Gelegenheit: Die Dammahütte suchte neue Hüttenwarte. Nach einigem Hin und Her, und weil ich seinem Wunsch irgendwann nachgab (manchmal ist Nachgeben ja einfacher als Diskutieren ), sagten wir zu. Und so begann ein Kapitel, das mein Leben ziemlich auf den Kopf stellte.

Im Juni 1990 flogen wir das erste Mal mit Sack und Pack, mit Holz, Lebensmitteln, Getränken – und unserem Schäferhund – in die Dammahütte. Mit im Gepäck: unsere drei Kinder, Jasmin, Manfred und Pascal. Ein richtiges Familienabenteuer. Die Saison war offiziell noch gar nicht eröffnet, aber fürs nächste Wochenende war bereits eine Gruppe von 23 Gästen angemeldet.

Zum Glück hatten wir Freunde und Kolleginnen, die mithalfen, alles einzuräumen und die Hütte startklar zu machen. Ich selbst war voller Neugier, aber ehrlich gesagt: völlig grün hinter den Ohren. Kein Plan, keine Ahnung, aber ein gutes Herz und viel Improvisationstalent.

Die ersten Tage liefen erstaunlich gut. Ich stand zum ersten Mal in der Küche und kochte für so viele Menschen – und lernte dabei, na ja, durch Versuch und Irrtum. Einmal hatten wir so viele Makaroni gekocht, dass selbst die Bergdohlen draussen jauchzten vor lauter Futter. Die hatten wohl das Fest ihres Lebens.

Als die Gäste und Helfer wieder abreisten, blieb ich mit meinen drei Kindern oben in der Hütte. Ich hatte das damals völlig unterschätzt – wie das ist, auf 2’439 Metern zu sein, allein, umgeben von Felsen, Schnee und Stille. Wenn tagelang niemand vorbeikommt, fängt man an, mit den Steinen zu reden – und die antworten einem nicht mal!

Das Wasser mussten wir übrigens selbst anpumpen – geschmolzener Schnee, eiskalt und kostbar. Und jeden einzelnen Liter mussten wir in die Hütte hineintragen. Eine richtige kleine Trainingseinheit – Tag für Tag.

Und auf die Toilette ging’s nicht einfach ums Eck, sondern hinaus aus der Hütte, rund 150 bis 200 Meter entfernt, auf ein einfaches Plumpsklo. Ob bei Sonne, Regen oder Schneetreiben – es gehörte einfach dazu.

Strom gab es keinen – nur ein wenig Solar für das Nötigste und Holz, das uns wärmte, kochen liess und oft der einzige Luxus war, den es hier oben gab.

Vor allem, wenn das Wetter schlecht ist, wird die Hütte zur eigenen kleinen Welt. Draussen Nebel, Wind, Regen – drinnen das Knistern des Ofens, Kinderstimmen und meine Versuche, drei kleine Wirbelwinde bei Laune zu halten.

Rausgehen war bei Regen keine Option – also musste ich kreativ werden. Geschichten erzählen, Spiele erfinden, basteln mit dem, was gerade da war. Wäscheklammern wurden zu Spielfiguren, Suppenkellen zu Musikinstrumenten. Wunderschön – und anstrengend zugleich.

Etwa nach einer Woche kam endlich wieder ein Gast vorbei. Ich war so froh, nach Tagen wieder ein anderes Gesicht zu sehen. Da der Weg ins Tal noch zum Teil mit Schnee bedeckt war, fragte ich ihn, ob die Möglichkeit bestünde, dass ich mit den Kindern gemeinsam mit ihm hinunterlaufen könnte.

Und so machten wir uns zusammen auf den Weg ins Tal – oben steinig, unten voller Schnee. Pascal war damals noch klein, ich trug ihn den ganzen Weg in der Rückentrage. Der Gast hätte gerne geholfen, aber sobald jemand anders ihn auch nur anfassen wollte, schrie Pascal wie am Spiess. Also trug ich ihn selbst – Schritt für Schritt, bergab, durch Schnee und Steine. Es war mühsam, aber gleichzeitig auch ein Moment, in dem mir bewusst wurde, wie stark man werden kann, wenn man muss.

Unten angekommen, fühlte sich alles fast unwirklich an – der Lärm, die Menschen, die Wärme. Doch lange blieb keine Zeit zum Durchatmen. Schon bald stand der offizielle Saisonstart am 1. Juli vor der Tür, und wir machten uns erneut auf den Weg hinauf zur Hütte – diesmal mit etwas mehr Erfahrung, aber auch mit dem Wissen, wie anspruchsvoll das Leben dort oben wirklich ist.

Das erste Jahr sollte dann auch seine eigenen Herausforderungen bereithalten. Ich bin in dieser Zeit tatsächlich dreizehnmal ins Tal – mal, um Salat oder Brot zu holen, mal einfach, um kurz unter Menschen zu kommen. Ein heisses Bad, ein Stück Alltag – das hat gereicht, um wieder aufzutanken. Am nächsten Tag ging’s jeweils zurück auf die Hütte. Diese kleinen Auszeiten waren mein Rettungsanker.

Dann, an einem ganz normalen Montagmorgen, klingelte plötzlich das Telefon. Eine Bekannte war dran.

«Du, dein Mann – der zügelt!»

So erfuhr ich, dass mein Mann uns verlassen hatte – mich und unsere Kinder, damals sechs, viereinhalb und eineinhalb Jahre alt.

Und da stand ich nun. Allein, mitten in den Bergen, mit Kindern, Hund und null Plan, wie es weitergehen sollte. Nur der Vertrag mit dem SAC hielt mich fest – und vielleicht auch ein kleines Stück Trotz. Also machte ich weiter. Tag für Tag, Schritt für Schritt, zwischen Gästen, Wetterlaunen und Momenten, in denen ich einfach nur tief durchatmete und dachte: Okay, weitermachen.

Am Ende des Sommers stand die Frage im Raum:

Soll ich das nächstes Jahr wirklich wieder tun – oder reicht’s fürs Leben?

Wie es weiterging, erzähle ich dir im nächsten Teil.